Fremder als der Mond

Texte von Bertolt Brecht mit Musik von Hans Eisler u.a.
Berliner Ensemble

Oliver Reese inszeniert einen Brecht Liederabend mit der großen Katharine Mehrling

Das Berliner Ensemble startet mit einer Hommage an den Hausgeist in die neue Spielzeit: Brecht-Lieder mit Musik von Hanns Eisler und anderen. Intendant und Regisseur Oliver Reese holte dafür mit Katharine Mehrling eine Sängerin an den Schiffbauerdamm, die normalerweise an Berlins Musical- und Opernbühnen brilliert.
Ihr Auftritt ist ein Coup.

Es gibt Schauspieler:innen, die erkennt man sofort wieder – an ihrer Stimme. Sophie Rois gehört dazu, Valery Tscheplanowa, Margit Bendokat. So angeraut und zugleich klangsatt, so vielfarbig schillernd, bei Bedarf auch scharf und mit einer ganz eigenen Diktion gesegnet muss man sich auch Katharine Mehrling vorstellen. Eine Markenzeichen-Stimme, die unmittelbar berührt, dazu ein immenses Schauspieltalent. Dank ihrer Musical- und Operetten-Rollen an der Komischen Oper, ihren Liederabenden in der Bar jeder Vernunft, ihren Crossover-Gratwanderungen im Schlosspark- und Renaissance-Theater muss man zumindest in Berlin kaum jemandem mehr Mehrlings Bedeutung und Können erklären. Jetzt hat Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, etwas getan, was längt überfällig war: Mehrling für eine große Schauspielbühne zu gewinnen.

Mehrling triumphiert
Mehrling zum Niederknien gut.


Sie hat die Härte von Helene Weigel und Gisela May, kann aber auch jederzeit in Jazz-Taumel oder Musical-Jubel umschalten. Toll, wie sie "Das Lied vom Weib des Nazisoldaten" gestaltet, als wilde Cabaret-Nummer im Hochzeitskleid – und dann die letzte Strophe a cappella erklingt. Oder wie sie in "Mutter Beimlein" als unheimlicher Harlekin die Treppe heruntersteigt und dabei wie ein Maschinchen singt, völlig unsentimental.

… man kann sich Mehrlings Präsenz ergeben. Etwa der Dringlichkeit, mit der sie Paul Dessaus "Lied der Mutter Courage" singt. Es klingt wie eine Empfehlung.

Bertolt Brecht Superstar

Katharine Mehrling liegt man zu Füßen. Denn etwas kann sie besser als alle im Saal.

Um es direkt vorwegzunehmen: Das größte Ereignis des Abends ist Katharine Mehrling. Wo soll man mit der Lobeshymne anfangen und wo enden? Mehrling schafft es, den Liedern von Brecht einen Sound zu geben, den es seit Gisela May nicht mehr gegeben hat: schroff und zart, melodisch und wieder ins Sprechende wechselnd, einfach unnachahmlich. Mit Edith Piaf und Kurt Weill ist Mehrling an der Komischen Oper und mit Soloabenden zum Star geworden, nun liegt man ihr am Berliner Ensemble zu Füßen. Man kann gar nicht anders.

... bezaubernde Leichtigkeit von Mehrling ....Trapezkünstlerin.

So wie Mehrling wirbelt, versteht – oder soll man sagen: fühlt? – man, dass Brechts Lieder zwar als Popsongs durchgehen können, aber solche, die auf Raffinesse nicht verzichten. Es sind vor allem die dialektischen Kapriolen und plötzlichen Momente des Umschlags, die für musikalische Spannung sorgen. Ein Höhepunkt dieser Kunst ist, wie Mehrling im üppigen Kleid mit leeren Schaumweinflaschen um sich herum das „Das Lied vom Weib des Nazisoldaten“ gibt. Die Frau an der Heimatfront wird mit jedem Präsent, das ihr von den fernen Raubzügen geschickt wird, immer selbstbesoffener, bevor ihr mit der letzten Gabe – dem Witwenschleier – Gesicht und Stimme entgleisen. Die Begleitmusik verstummt und die eisige Einsamkeit des a capella jagt einem Schauer über die Haut, mit denen zugleich die politische Erkenntnis im Hirn einschlägt. Reese gelingt es, immer wieder Stars an das Theater am Schiffbauerdamm zu locken – wie Mehrling jetzt. Ein Auftakt in die neue Spielzeit, der begeistert.

Der Brecht-Abend „Fremder als der Mond“ eröffnet die neue Spielzeit am BE. Und wird zum triumphalen Erfolg für Katharine Mehrling.

Berlin. Als sie am Ende auf die Bühne kommt, wirkt sie ganz kurz etwas unsicher. Das ist man sonst nicht gewohnt von Katharine Mehrling. Sie ist ein Publikumsliebling, hat schon sechs Goldene Vorhänge. Aber es ist eben eine neue Bühne, die sie hier bespielt hat. Und nicht eine der leichten Muse, da kennt sie sich aus. Sondern eine der wichtigsten und traditionsreichsten Sprechbühnen des Landes, das Berliner Ensemble. Wo sie sich auch gleich an den Hausgott Bert Brecht rangewagt hat.

Ein Moment mag sie da gezagt haben: Werde ich auch dieses Publikum überzeugen? Ein Teil des Publikums mag sich das auch gefragt haben: Ist diese Frau hier richtig? Doch dann brandet frenetischer, nicht enden wollender Applaus auf. Und bestätigt: Jawohl, die Mehrling ist angekommen, ist aufgenommen.

Sie hat ja schon viele Bühnen erobert. Die Tribüne, das Schlosspark-, das Renaissance Theater. Gar nicht zu reden von der Bar jeder Vernunft und dem Tipi. Dann noch die Komische Oper, wo sie unter Barrie Kosky zu einer Art Hausgöttin wurde. Aber auch das eben: leichte Muse.

Die Mehrling hat sich unter Kosky an Kurt Weill herangearbeitet und so auch an Brecht. Bei einem Benefizabend für die Ukraine im BE gaben die beiden Kostproben davon. Und da schon Kosky am BE grandios die „Dreigroschenoper“ inszenierte, lag es nahe, auch das Allroundtalent Mehrling einzuladen. Mit Brecht, aber nicht mit Weill. Sondern mit Dessau und Eisler.

Katharine Mehrling nimmt die Bühne im Sturm

Die Mehrling hat Gold in der Kehle. ...Adam Benzwi, ein Wegbegleiter der Mehrling, hat die Lieder ganz intim für vier Musiker und erfrischend neu arrangiert. Die Bühne, eine Schatztruhe voller Brecht-Preziosen.

Sätze wie „Was sind das für Zeiten“, „Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“, sind sie uns derzeit nicht sehr vertraut? „Das deutsche Miserere“ über die Kriegsdesillusionierung in Russland, klingt es nicht ganz neu heute? Oder „Das Lied vom Weib des Nazisoldaten“, die beste Interpretation der Mehrling, wo sie erst beschwipst Geschenke aus eroberten Gebieten erhält, am Ende aber den Witwenschleier aus Russland – da kriegt man Gänsehaut, so aktuell ist Brecht noch immer.

Reese sollte Frau Mehrling öfter einbinden - und nicht nur mit einem Liederabend Die Mehrling traut sich auch an „Mutter Courage“. Reese projiziert dabei sogar Ausschnitte mit der legendären Helene Weigel auf sie. Die Mehrling im drehenden Rad des Marketenderwagens, was für ein Bild. Andere hätte das zermalmen können. Hier wird die Hommage zu einem Triumph.

Reese bindet in der neuen Spielzeit neue Kräfte ans Haus, die Autorin Sibylle Berg, den Undergroundfilmer Axel Ranisch. Auch der Auftritt der Mehrling darf kein Gastspiel bleiben. Reese wäre gut beraten, sie in einem Stück zu besetzen. Es muss ja nicht gleich die „Courage“ sein.

Mit Frische und Kühle:
Katharine Mehrling singt Brecht im Berliner Ensemble


Der Brecht-Liederabend „Fremder als der Mond“ im Berliner Ensemble, inszeniert von Oliver Reese, wird durch Katharine Mehrling zu einer atemberaubenden Hommage.

Katharine Mehrling gibt den Songs und Texten hinreißend frisches emotionales Blut und die nötige kühle, intellektuelle Stringenz. Den trockenen Ton, den sich Brecht wünschte – nicht mit seelenlos zu verwechseln – beherrscht sie grandios. Das klingt nach Verfremdung und Verführung, nach epischem Theater und Brechts Devise: „Glotzt nicht so romantisch!“

Historisch informiert und die Zukunft energisch im Blick wird Paul Dessaus Lied der Mutter Courage zum souveränen Höhepunkt der knapp zweistündigen Veranstaltung. Mit Kopftuch und gepolsterter Jacke, darauf den Suppenlöffel griffbereit geschnallt, zitiert die Mehrling Helene Weigels prototypische Rollengestaltung in Brechts legendärer Berliner „Courage“-Inszenierung (1949). Während kaum erkennbar Filmausschnitte daraus über die Bühne flimmern, kommt sie langsam und entschieden von hinten nach vorne, singt dabei glasklar und unsentimental, expressiv richtig und dialektisch aufrichtig. Durch Katharine Mehrling wird „Fremder als der Mond“ zu einer atemberaubenden und heutigen Brecht-Hommage.

Mitreißende Brecht-Revue.

Mehrling, die als Stargast aus der Welt der verführerischen Unterhaltungsmusik die Bühne des alten Brecht-Theaters betritt, nimmt ihre Rolle von der ersten Sekunde an ernst. Umwerfend: Katharine Mehrling. In phantastisch geschnittenen Kleidern (Kostüme: Elina Schnizler) singt sie, mal spielerisch lasziv, mal ernsthaft erotisch, die Partien des Nazisoldaten-Weibes, der Mutter Courage oder – zum Schluss – die des Freudenmädchens Nanna: „Gott sei Dank geht alles schnell vorüber / Auch die Liebe und der Kummer sogar / Wo sind die Tränen von gestern Abend? Wo ist der Schnee vom vergangenen Jahr?“ Spätestens mit diesem Song wird Brecht einem an diesem Abend zum Ohrwurm.

Bertolt Brechts berühmte Lieder beruhen allesamt auf seinen Gedichten, er schrieb sie wie verrückt. Als autobiografisch angelehnten musikalischen Abend bringt das Berliner Ensemble sie nun in "Fremder als der Mond" auf die Bühne – mit der Starsängerin Katharine Mehrling.

Das schwere Erbe der großen Brecht-Sängerinnen wie Gisela May und Lotte Lenya zu tragen, kann man Mehrling durchaus zutrauen. Ihre interpretatorische Vielfalt von rau und lasziv zu puristisch und hell hat sie schon in Kurt-Weill-Abenden an der Komischen Oper unter Beweis gestellt und es ist eigentlich ein Coup, sie nun endlich auch ans Berliner Ensemble zu holen. Und natürlich brilliert sie in allen Rollen: als verwöhntes Soldatenweib mit Champagnerglas, als abgerissene Mutter Beimlein im Clownskostüm, als Geliebte im Blumenkleid.
Ein Höhepunkt ist das Lied von der Moldau – ein Lied über die die Hoffnung auf politischen Umbruch, das Katherine Mehrling wunderbar kraftvoll und glockenklar singt.

Katharine Mehrling und Paul Herwig glänzen beim szenischen Liederabend am Berliner Ensemble.

Die von der Komischen Oper bis zur Bar jeder Vernunft gefeierte Sängerin Katharine Mehrling, die ihr Publikum unter anderem mit einem Kurt-Weill-Abend in Begeisterung versetzte, steht erstmals auf der Bühne des Brechttheaters.

Ein Abend, in dem der Gaststar Katharine Mehrling – zu den tollen Arrangements von Adam Benzwi – großartig singt.

Dank Katharine Mehrling, die bekanntlich ohnehin eine Bühnengranate ist, und Paul Herwig, den beiden glänzend aufgelegten Schauspielern, und Adam Benzwis tollem kleinem Orchester, ist der Abend eben auch sehr viel mehr als ein Mitbringsel aus dem Brecht-Fanshop. Zum Beispiel wenn Mehrling sehr lustig und genussvoll Spargel verschlingt, weil „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Und weil Mehrling jedem Auftritt Glamour der Glitzerklasse schenkt, beweist sie, dass ein etwas anzügliches Liebeslied jederzeit Pop-Wumms und Discokugel-Qualitäten hat.

Brecht: Fremder als der Mond
Rein. Sachlich. Böse


…wenn Mehrling Brecht zunächst zitiert, wie Brecht einen kurzen Film des von ihm verehrten Charlie Chaplin analysiert, um dann mit angeklebten Chaplin- und eben auch Hitler-Bärtchen überleiten in einen der kraftvollen Songs aus dem Exil-Stück „Schwejk im Zweiten Weltkrieg“. Der Effekt ist beachtlich.

Einmal wird die Bühne völlig aufgerissen, leer ist sie bis zur Brandmauer. Mehrling singt im leeren Raum das berühmte Lied der Mutter Courage. Darüber geblendet flimmert die Aufzeichnung, die das Fernsehen der DDR von der genauso berühmten Inszenierung erstellte. Effekte wie dieser funktionieren halt nur hier, am Schiffbauerdamm. Oliver Reese präsentiert den guten Geist des eigenen Hauses von vielen allerbesten Seiten.

Dem „BE“-Team jetzt, also Reese und Benzwi, Bühnenbildner Hartung und Kostümgestalterin Elina Schnizler sowie natürlich vor allem Mehrling und Herwig, gelingt so etwas wie eine Beschwörung. Und der Umgang mit diesem Geist, diesem Brecht war, ist und bleibt fruchtbar.